🧠 Wie kann man ein Klavierstück auswendig lernen – und warum ist das wichtig?
- Momcilo Radojevic
- vor 6 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen

Warum spielen professionelle Pianist*innen auswendig?
Professionelle Pianistinnen und Pianisten – insbesondere bei internationalen Wettbewerben – beherrschen oft mehrere Stunden Repertoire (manchmal 3 bis 5 Stunden!) auswendig. Das ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für den Beruf, sondern auch ein essenzieller Teil der musikalischen Kommunikation mit dem Publikum.
Stellen wir uns einen Interpreten vor, der während der gesamten Aufführung nur auf das Notenblatt schaut – als Zuhörende würden wir schnell den Eindruck gewinnen, dass hier etwas nachgespielt wird, nicht interpretiert. Künstlerischer Ausdruck entsteht jedoch im Moment, im freien Spiel – und genau dafür braucht es Sicherheit ohne Noten.
Diese Fähigkeit ein Klavierstück auswendig lernen ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Gedächtnisformen. Sie unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Auswendiglernen etwa in der Schule.
Die vier Säulen des pianistischen Gedächtnisses
1. Auditives Gedächtnis
Das Gehör ist unser wichtigstes Werkzeug. Alles, was wir spielen, wird innerlich gehört – das sogenannte „innere Ohr“ führt uns. Deshalb fällt es uns oft leichter, Stücke zu spielen, die wir bereits kennen. Viele sagen dann: „Oh, dieses Lied kenne ich – ich weiß, wie das geht!“ Genau das zeigt, wie stark unser musikalisches Gedächtnis vom Gehör beeinflusst wird.
2. Visuelles Gedächtnis
Auch das Sehen spielt eine große Rolle: Wir erinnern uns an Fingersätze, Akkordbilder, Handpositionen, Lagen auf der Tastatur – aber auch an den Notentext selbst. Diese visuellen Reize helfen uns, die Orientierung zu behalten, besonders in komplexeren Passagen.
3. Motorisches Gedächtnis
Unsere Finger „wissen“ oft, wo sie hinmüssen – selbst wenn wir gerade nicht bewusst darüber nachdenken. Durch wiederholtes Üben verankern sich Bewegungsabläufe in der Muskulatur. Das nennt man auch „Muskelgedächtnis“.
Aber Achtung: Dieses Gedächtnis lernt alles – auch Fehler!
Wenn wir z. B. falsche Fingersätze oder Noten wiederholt üben, verankern sich auch diese Abläufe – und es kann viel schwieriger sein, sie später zu korrigieren. Man sagt nicht umsonst:
Etwas Neues zu lernen dauert oft weniger lang, als etwas Falsches wieder zu verlernen 💁♂️
4. Analytisches Verständnis & Musiktheorie
Ein tiefes Verständnis für harmonische Zusammenhänge, Intervalle, Akkordfolgen und formale Strukturen unterstützt das Auswendiglernen erheblich. Statt einzelne Noten isoliert zu betrachten, erkennen geübte Musiker größere Zusammenhänge: Ein Takt mit den Tönen C–E–G–B ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Einzeltönen, sondern ein zerlegter Dominantseptakkord. Wer Harmonien erkennt, weiß auch, wann eine Modulation kommt oder wie sich das Stück musikalisch entwickelt.
Wer sich mit der Form eines Stücks beschäftigt – etwa der Sonatenhauptsatzform mit Exposition, Durchführung, Reprise und Coda – entwickelt ein mentales Gesamtbild. Dieses hilft, das Stück in sinnvolle Abschnitte zu gliedern und gezielter zu verinnerlichen.
Fazit
Das Auswendiglernen am Klavier ist ein komplexer, aber lohnender Prozess. Verschiedene Gedächtnisarten – auditiv, visuell, motorisch und analytisch – greifen ineinander und bilden zusammen ein ganzheitliches Bild des Stücks. Wer dieses Zusammenspiel versteht und gezielt trainiert, wird merken: Auswendigspielen ist kein „Zaubertrick“, sondern eine erlernbare Fähigkeit – und ein zentraler Baustein für künstlerisches, freies Musizieren.
Klavierstück auswendig lernen - Praktische Tipps und Tricks
1. In sinnvolle Abschnitte gliedern
Teile das Stück in kleine, überschaubare Einheiten (z. B. 4–8 Takte).
Gib diesen Abschnitten klare Startpunkte und Endpunkte – das erleichtert später das gezielte Wiederholen.
2. Ohne Instrument wiederholen
Gehe das Stück im Kopf durch – auch fern vom Klavier.
Stell dir visuell vor, wie du eine Melodie oder einen Akkord spielst – mache ein klares mentales Bild davon.
3. Kopf statt Blatt: Ein Stück nach Gehör abrufen
Setz dich am nächsten Tag ohne Noten ans Klavier und versuche, mindestens einen Teil des Stücks – auch einzeln mit einer Hand – nach Gehör zu spielen. Schau erst in die Noten, wenn du hängen bleibst oder nicht weiterkommst.
4. Spiel viel – und viel nach Gehör
Versuche am Klavier, alle Melodien, die dir durch den Kopf gehen oder die du kennst, nach Gehör zu spielen. So trainierst du dein auditives Gedächtnis. Dein/e Lehrer*in kann dich dabei unterstützen, indem ihr einen Teil der Klavierstunde dafür nutzt, Intervalle oder Akkorde zu hören und sie auf der Tastatur zu finden.
Ich hoffe, dieser Beitrag konnte dir einen Einblick geben, wie das pianistische Gedächtnis funktioniert und warum es sich lohnt, Stücke auswendig zu lernen 🙃
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